Akademisierung der Pflege

16.12.2022

Akademisierung der Pflege

Die Akademisierung der Pflege bedeutet, dass man Pflege jetzt auch studieren kann. Aber s wie man sagen kann, wo Rauch ist, ist auch Feuer, ist auch Wissenschaft, wo ein Studium angeboten wird. In den Studiengängen, die zur Pflegewissenschaft gehören, lehren Dozentinnen und Dozenten, die selbst in der Pflege arbeiten und forschen.

Welche Themen deckt der akademische Teil der Pflege ab? Wir werfen einen Blick auf verschiedene Gebiete der wissenschaftlichen Forschung, die nicht rein medizinisch, sondern pflegerisch sind. Dabei listen wir hier vor allem Fragen auf, die sich die Pflegewissenschaft stellen kann. In Zukunft werfen wir natürlich immer wieder auch einen Blick auf Ergebnisse.

Wie beeinflusst Pflege Familien?

Pflege – ob zu Hause oder in einem Heim – betrifft fast nie nur die Betroffenen. Auch Angehörige oder Freunde erleben eine veränderte Welt. Weil immer wieder jemand im sonst so hoch persönlichen und privaten Zuhause zu Besuch ist, oder weil ein nahestehender Mensch plötzlich weiter weg in einem Heim lebt und besucht werden muss.

Wie beeinflusst die Pflegeart eine Familie oder einen Freundeskreis? Kann das Verhalten von Pflegenden die Reaktion von Angehörigen auf Krankheiten oder Unfälle beeinflussen? Funktionieren Beziehungen besser, wenn ein Partner den anderen selbst pflegt, oder wenn ein Pflegedienst die Pflege übernimmt und das Paar gemeinsame Zeit mit anderem verbringt? Entwickeln sich Kinder anders, wenn im Haushalt ein pflegebedürftiger Mensch mit lebt?

Wie hängen Pflegeerfahrung und Migrationshintergrund, Geschlecht, Sexualität, Religion, Lebenserfahrung, … zusammen?

Die meisten von uns erleben bestimmte Dinge regelmäßig, aber fast keine sind universell gleich. Wir haben auch im Blog schon berichtet, dass Pflege von und durch queere Menschen mehr Aufmerksamkeit braucht. Pflegewissenschaft beleuchtet auch andere Konstellationen.

Werden Frauen und Männer in der Pflege gleich ernst genommen, wenn sie über Schmerzen klagen? Wie können verschiedene pflegerische Handlungen respektvoll durchgeführt werden, wenn ein Patient und die Pflegekraft unterschiedliche Sprachen sprechen? Wie können Pflegekräfte, die selbst traumatische Erfahrungen gemacht haben, anderen in der Pflege helfen? Welche Perspektive bringen muslimische Pflegekräfte mit, die in der christlich geprägten Geschichte der Pflege in Deutschland bisher fehlt?

Lohnt sich Pflege?

Auch die Verbindung zur BWL und VWL wird betrachtet, aus mehreren Perspektiven. Eine ist natürlich die Finanzierung von Pflege – auf großer, bundesweiter Ebene, aber auch im Kleinen und in einzelnen Pflegediensten. Welche spezifischen Herausforderungen gibt es in wirtschaftlicher Hinsicht beim Management von Pflegediensten? Welche finanzielle Planung macht für kleine oder mittlere Pflegedienste mit ihrem einzigartigen „Dienstleistungsangebot“ am meisten Sinn?

Andererseits geht es aber auch darum, den gesellschaftlichen Nutzen von Pflege zu betrachten. Ist die Investition in Pflege einfach nur eine „emotionale“ Entscheidung, die entgegen aller Vernunft getroffen wird? (Brutal spekuliert: Wieso lassen wir als Gesellschaft alte, kranke oder schwache Menschen nicht allein?) Oder steckt hinter der Entscheidung, zu pflegen, auch eine „wirtschaftliche“ Idee, weil die Aussicht auf Pflegeangebote im Alter motiviert oder Menschen einfach schlechter leben, wenn andere Menschen neben ihnen leiden müssen?

Wann geht es Pflegenden in der Pflege gut?

Pflegende stehen unter einer großen Belastung, und wie in anderen Bereichen ist hier das Thema „Stress“ wichtig. Was bedeutet Stress in der Pflege und wie kann er reduziert werden? Welche Übungen oder Selbsthilfetipps sind tatsächlich eine effektive Unterstützung für Angehörige, die pflegen?

Wie kann der Teamzusammenhalt in Pflegediensten gestärkt werden, wenn jeder so viel Arbeit „alleine“ macht und man sich „nur“ zu Teambesprechungen sieht? Welche Hilfsmittel können die Arbeit ergonomisch einfacher machen, welche Technologien helfen bei der Zeitplanung? Wie sehr beeinflusst die Bezahlung neben anderen Aspekten die Zufriedenheit von Pflegekräften?

Was könnte Pflegeheime oder die ambulante Pflege besser machen?

Hier geht es natürlich um Technologien und Innovationen, aber vor allem auch um Verhaltensweisen, Organisationsprinzipien und Gewohnheiten. Sollten Stationen immer mit einer graden Zahl von Pflegekräften besetzt sein oder ist es besser, wenn es zusätzlich zu jedem Zweierteam noch eine helfende Hand gibt? Wie können Roboter helfen, alltägliche Pflegeaufgaben zu unterstützen, ohne dass die Menschlichkeit verloren geht? Was können Pflegeheime von der ambulanten Intensivpflege lernen, um die Gesundheit ihrer Patienten zu verbessern?

Wie könnten Intensivpflege-WG organisiert werden, um individuelle Stärken besser zu fördern? Gibt es psychologische Kniffe, mit denen Pflegekräfte intensivpflegebedürftige Kinder besonders unterstützen können?

Es gibt so viel zu lernen …

Die Pflegewissenschaft ist eine neue Disziplin in Deutschland – aber nur in dem Sinn, dass bisher viele der Themen in verwandten oder Nachbardisziplinen bearbeitet wurden. Natürlichen haben sich Medizin, Psychologie, Wirtschaftswissenschaft oder Informatik schon mit Pflege beschäftigt. Rehabilitationswissenschaften, soziale Arbeit und medizinische Physik forschen an Projekten im Themenfeld Pflege.

Die Pflegewissenschaft zu stärken bedeutet aber, die einzigartige Perspektive auf „Probleme“ anzuerkennen. Grob gesagt könnte eine Informatikerin sich natürlich mit einem Problem aus der Wirtschaftswissenschaft beschäftigen – solange die Fakten bekannt sind, lassen sie sich meist von einer gut ausgebildeten Expertin auch modellieren. Aber ohne die tatsächlichen Prioritäten in der Wirtschaftswissenschaft zu kennen und ohne Erfahrung mit dem, was bei Fragen aus dieser Disziplin normalerweise interessant ist, wird ihr Modell vielleicht am Thema vorbei sein. (Genauso wie die Analyse eines Wirtschaftswissenschaftlers zu einer Fragestellung aus der Informatik sachlich richtig, aber auch komplett am Ziel vorbei arbeiten kann).

Pflegewissenschaft bedeutet, Fragen aus einer einzigartigen Perspektive zu stellen und zu beantworten. Wer sich für ein Studium in diesem Bereich interessiert, lernt nicht „nur“ die praktische Handhabung von Aufgaben aus der Pflege, sondern auch diese Perspektive einzunehmen und damit die Pflege insgesamt zu verbessern.