Wenn der Pflegevertrag nicht für alle gilt

20.11.2020

Wenn der Pflegevertrag nicht für alle gilt

Was passiert, wenn ein Tarifvertrag gegen das etablierte System der Verhandlungen mit Kranken- und Pflegekassen anstehen muss? Aktuell erleben wir etwas, das vermutlich auch jedes Planspiel gezeigt hätte – leider in der Realität.

Die Voraussetzungen:

· Nicht jeder in der Branche zahlt nach Tariffvertrag.

· Die Bezahlung nach Tarifvertrag liegt etwa 30 % über der durchschnittlichen Bezahlung in der Pflege. Damit sind die Kosten für die Krankenkassen auch entsprechend höher.

· Gleichzeitig sollen die Krankenkassen sparen und günstige Anbieter wählen.

Die Folge? Anbieter, die den Tarifvertrag anwenden, sind im Nachteil – obwohl das eigentlich nicht so gedacht war. Wie kommt es dazu?

Der Tarifvertrag als Absicherung

Ein Tarifvertrag ist in vielen Branchen eine Absicherung für die Arbeitskräfte. Sie haben einen guten Vergleichswert, wie viel bezahlt wird und wie die Arbeitsbedingungen aussehen. In der Pflege gibt es – endlich – einen Tarifvertrag und er sollte durch das Pflegestärkungsgesetz sogar mit Hilfe der Regierung etabliert werden. So sollen Pflegedienste überall das Gleiche zahlen und vergleichbare Arbeitsbedingungen bieten.

Eigentlich sollte das auch die Verhandlungen erleichtern, die die Pflegedienste mit Krankenkassen führen müssen: Für jeden Patienten wird ausgehandelt, nach welchem Satz die Pflege bezahlt wird. Mit einem einheitlichen Tarifvertrag ist ein Teil der Kosten quasi vorab geklärt.

Der Tarifvertrag als lückenreiches Netz

Die Pflegedienste sind aber nicht die einzigen, die über die Kosten nachdenken müssen: Sie stellen die Arbeitsleistung ja den Krankenkassen (bzw. Pflegekassen) in Rechnung. Wenn also ein Pflegedienst ab sofort 5 € mehr pro Stunde an die Pflegekraft auszahlt, muss auch die Krankenkasse 5 € mehr pro Stunde bezahlen.

Gemäß Regelung im Pflegestärkungsgesetz darf der so angesetzte Stundenlohn nicht als unwirtschaftlich gelten und abgelehnt werden – doch er bedeutet natürlich einen Verlust für die Krankenkassen.

Die Zusammenarbeit mit einem Pflegedienst, der nach Tarifvertrag bezahlt, wird teuer als die mit einem anderen Pflegedienst, der seine Mitarbeiter nicht genauso gut bezahlt. Die Zusammenarbeit mit dem Tarif-Pflegedienst ist also teurer und damit stressiger für die Krankenkasse.

Ganz normale Reaktion, verheerende Bedeutung

Natürlich halten sich die Krankenkassen an die Vorgaben des Gesetzes und lehnen keinen Pflegedienst ab, weil er nach Tarifvertrag bezahlt. Was wir allerdings bemerken: Krankenkassen empfehlen ihren Patienten auch eher nicht die Pflegedienste, die höhere Kosten bedeuten – zum Beispiel, weil sie nach Tarifvertrag bezahlen.

Das bedeutet, dass Pflegedienste Patienten verlieren oder einfach nie sehen. Und es trägt zu dem Gefühl einiger Pflegedienstbetreiber bei, dass der Tarifvertrag ihnen die Arbeit erschwert – auch wenn es eigentlich nur die Tatsache ist, dass der Tarifvertrag noch nicht überall angekommen ist.