Versteckte Kosten der ambulanten Pflege für Angehörige

26.03.2021

Versteckte Kosten der ambulanten Pflege für Angehörige

Eine Studie des deutschen Instituts für Altersvorsorge beschäftigte sich jüngst mit der Frage, welche finanziellen Auswirkungen die ambulante Pflege im Alter haben kann. Während die Kosten der Pflege im Heim immer wieder diskutiert werden und im Fokus von Jens Spahns Vorstößen stehen, fallen die „indirekten“ Kosten der ambulanten Pflege unter den Tisch.

Versteckte Kosten in der ambulanten Pflege

Indirekte Kosten der ambulanten Pflege tauchen in vielen Statistiken und Diskussionen nicht auf, weil sie versteckt sind. Die Ergebnisse der Studie lassen darauf schließen, dass die Kosten der ambulanten Pflege sich in vielen Fällen hinter den Angehörigen verstecken, die Teile der Pflege übernehmen.

Vorab: Pflegeleistungen zu Hause durch einen professionellen Pflegedienst sind nicht das Problem -diese Kosten werden vollständig von den Pflegekassen erstattet.

Viele pflegebedürftige Menschen werden aber nicht von Pflegediensten betreut, sondern von ihren Angehörigen – und die verlieren dadurch Geld.

Wieso die Kosten für Angehörige „versteckt“ sind

Die Kosten, die Angehörige tragen, sind nicht immer Ausgaben, die die Angehörigen tragen. Viele wissen aber nicht, dass sie auch die Kostenübernahme für Pflegehilfsmittel einfach beantragen können.

Der größte „Kosten“-Faktor sind aber tatsächlich wegfallende Einnahmen. Angehörige, die ihre Zeit für Pflege investieren, geben oft ihre Arbeit ganz auf oder wechseln zu Teilzeittätigkeiten. Damit verlieren sie monatliches Einkommen – vor allem, wenn sie ihre „gewonnene“ Zeit für die Pflege investieren müssen.

Mittlerweile gibt es die Möglichkeit, vorrübergehend für die Pflege von Angehörigen von der Arbeit freigestellt zu werden. Und auch Universitäten berücksichtigen in der Konzeption von Studiengängen häufiger, dass Studierende Zeit für die Pflege von Angehörigen aufbringen müssen.

Egal, wie diese Phasen berücksichtigt werden: Wer aus welchen Gründen auch immer Beruf oder Studium pausiert, verliert dadurch Zeit. Die Pause kann nicht genutzt werden, um einer Beförderung, Weiterqualifikation oder eben dem Studium entgegen zu arbeiten. Stattdessen stagnieren Angehörige an ihrem aktuellen Punkt. Je länger die Pause dauert, desto schwerer fällt der Wiedereinstieg – wer drei Wochen fehlt und damit den Beginn eines wichtigen Projekts verpasst, braucht manchmal drei Monate, um die verpassten Einführungsveranstaltungen und Besprechungen aufzuholen.

Langfristige wirtschaftliche Schäden

So erklärt sich auch, dass nach der aktuellen Studie nicht diejenigen finanzielle Einbußen fürchten, die gepflegt werden müssen. Die meisten älteren Menschen fühlen sich einerseits abgesichert durch Leistungen der Pflegekasse und haben sich andererseits darauf vorbereitet, dass ein Teil ihres Einkommens im Alter für ihre pflegerische Versorgung investiert wird.

Ein wichtiger Faktor sind für ihre Perspektive aber auch ihre Kinder. In der Gruppe der kinderlosen ist die Unsicherheit über zukünftige Pflege wesentlich größer als unter Eltern. Dabei steigt die Zuversicht mit der Zahl der Kinder: Unter denjenigen mit vielen Kindern sind mehr Menschen zuversichtlich, dass sie später gut versorgt sein werden.

Kinder und Enkel sind andersrum besorgt. Sie haben seltener das Gefühl, abgesichert zu sein. Darein spielt auch ihr Wissen um die Erwartung von Eltern und Großeltern: Wenn die älteste Generation sich auf die Arbeitsbereitschaft der Jungen verlässt, kann die junge Generation die wirtschaftlichen Folgen für sich absehen.

Denn wer in einer frühen Phase seines Lebens durch den Arbeitsausfall Einkommen verliert, ist damit nicht „fertig“ mit den Folgen der ambulanten Pflege durch Angehörige. Arbeits- oder Ausbildungspausen „kosten“ langfristig durch geringere Aufstiegschancen und ein langsamer wachsendes Gehalt.

Angehörige werden geopfert

Es ist wichtig, zwischen dem freiwilligen Einsatz von Angehörigen und Entscheidungen „aus der Not heraus“ zu unterscheiden. Natürlich ist das langfristige Verdienstpotenzial nicht die einzige Perspektive, die ein Mensch auf sein Leben hat. Wer sich bewusst frei nimmt, um Angehörige zu pflegen, möchte vielleicht einfach die Zeit voll nutzen oder sich für die Fürsorge bedanken, die er selbst erfahren hat.

Viele Menschen werden aber in die Situation gedrängt, die Pflege selbst übernehmen zu müssen. Das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn arbeitet hart an einer Verlagerung der Pflege von allen Menschen in Heime. An Sammelpunkten ist die Pflege dann insgesamt günstiger.

Ein Mittel dazu ist der hohe Druck auf ambulante Pflegedienste: Ihre Vergütung müssen sie ständig neu verhandeln – für jeden einzelnen Patienten. Verlangen sie zu viel, weichen Krankenkassen lieber auf billige Anbieter aus. Bekommen sie zu wenig, können sie ihren Angestellten keine angemessenen Löhne bieten.

Es ist keine Frage, wo der Zeitdruck in der Pflege herkommt. Und Angehörige, die diesen Zeitdruck sehen, erfahren selbst mehr Druck. Sie möchten oder müssen die Lücken schließen, die das System lässt. Sie treffen keine freie Entscheidung, wenn eine Unterlassung scheinbar die Vernachlässigung von Angehörigen bedeuten kann.

Die Pflegekassen stützen sich auf Angehörige. Sie unterstützen sie vermehrt darin, die Pflege zu bewältigen – durch Kurse zur Pflege oder zur Entspannung, durch Selbsthilfegruppen und Ansprechpartner.

Aber das System unterstützt Angehörige zu selten durch eine verlässliche Alternative.

Angehörige stärken

Wer für die Pflege einen professionellen Pflegedienst beauftragt, entlastet sich und/oder seine Angehörigen. Dazu gehören auch mögliche Zusatzleistungen: Unterstützung im Haushalt, Begleitung bei Arztbesuchen, soziale Angebote.

Auch Angebote wie unsere Tagesstätte in Bergkamen können eine Entlastung bedeuten, weil unsere Besucher hier zuverlässig und sicher den Tag verbringen können.

Um Angehörige weiter zu stärken ist aber auch eine bessere Finanzierung der Pflege insgesamt nötig. Denn gut finanzierte Pflege kann auf Dauer gut funktionieren und Angehörigen eine sichere, zuverlässige und tatsächliche Alternative zur persönlichen Pflege bieten. Dann wird das Ideal der freiwilligen, individuellen Pflege durch Pflegedienste und Angehörige zu einer Realität.