Zum geplanten Rehabilitations- und Intensivpflegestärkungsgesetz

06.01.2020

Zum geplanten Rehabilitations- und Intensivpflegestärkungsgesetz

Der Gesetzentwurf zum Intensiv- und Rehabilitationsstärkungsgesetz sieht vor, dass künftig stärker eingeschränkt wird, wer auch bei Intensivpflegebedürftigkeit mit seiner Familie im eigenen Zuhause leben darf und wer in Pflegeheimen untergebracht wird. Damit sollen – vor allem – Kosten reduziert werden. Weitere „Argumente“ sind die angeblich bessere Versorgung – Punkte, die durchweg widerlegt werden können. Nicht ohne Grund wurde der Entwurf ohne Beratung mit den entsprechenden Expertenverbänden und entgegen der Wünsche von Interessenverbänden von Betroffenen entwickelt.

„Ambulant vor Stationär“ gilt nicht mehr?

Lange konnte man in Deutschland darauf vertrauen, dass das Pflegesystem das Leben in der eigenen Familie, im eigenen Zuhause schützt. Mehrere Gerichtsurteile haben diesen Grundsatz auch immer wieder bestärkt: Zur Würde des Menschen gehört eben auch, dass er nur dann aus seinem Zuhause ausziehen muss, wenn es wirklich nicht anders geht.

Das möchte Herr Spahn mit dem Gesetzentwurf jetzt ändern: Von Zuhause wird jeder wegmüssen, der sich nicht laut genug wehren kann, dessen Familie den Widerstand gegen Kostendruck und Vorgaben nicht schafft. Zwar sind Kinder und Menschen, die jetzt schon zuhause intensivgepflegt werden, von der Regel ausgenommen.

Aber Patienten mit einer Erkrankung wie ALS, die voranschreitet und sie auf absehbare Zeit intensivpflegebedürftig macht, erleben eine zusätzliche Belastung. Die „Beweislast“ wird umgedreht: Sie müssen dann dafür streiten, Zuhause bleiben zu dürfen und weiter ein Leben zu führen, das so normal und ausgefüllt wie möglich ist. Als wäre dieses Recht etwas verhandelbares, das nur denjenigen zusteht, die gut argumentieren können und guten Beistand haben.

Pauschalurteil zur Intensivpflege

Ja, es gibt schwarze Schafe in der Intensivpflege. Wegen der wenigen Pflegedienste, die nicht ausreichend ausgebildete Personen statt Fachkräften einsetzen, die Intensivpflege abzuschaffen, ist ein Trugschluss. Da könnte man auch alle Hühnerhöfe Deutschlands schließen, wenn in einem wieder ein Antibiotikaskandal aufkommt. Oder alle Restaurants, weil einige keine ausreichende Lebensmittelsicherheit gewährleisten.

Passiert das? Nein, stattdessen wird sogar investiert: In sinnvolle gesetzliche Vorgaben, teilweise in Fördermittel zur Umsetzung dieser Vorgaben und schließlich in Prüfer und Kontrolleure, die Restaurants oder Hühnerhöfe besuchen und auf die Einhaltung der Vorschriften pochen und nur diejenigen Betriebe schließen, die dagegen verstoßen.

Kosteneinsparung bei besserer Qualität?

Eine andere Behauptung hinter dem Gesetzentwurf ist, dass die Qualität der ambulanten Intensivpflege sowieso (recht pauschal) schlechter sei, als die in den zukünftig wunderbar ausgestatteten Pflegeheimen für Intensivpflegebedürftige Patienten. Der Vorwurf gilt übrigens auch für Wohngruppen wie das Wohnkonzept 2016 – obwohl sogar unabhängige Studien zeigen, dass die Versorgung und die Sicherheit der Bewohner in Wohngruppen viel besser als in Heimen ist.

Es bleibt die Frage: Woher sollen die ach-so-viel-besser-qualifizierten Pflegekräfte für die Heimbetreuung kommen? Pflegekräfte, die heute in der ambulanten Intensivpflege arbeiten, sind hervorragend ausgebildet und speziell für die Intensivpflege geschult. Sie machen einen harten Job und bringen mehr als nur ihre Qualifikation ein, wenn sie rund um die Uhr in einer Familie zu Gast sind und dabei einen Menschen verantwortungsvoll pflegen.

Woher sollen plötzlich genauso viele – oder mehr? – genauso gut – oder besser? – ausgebildete Pflegekräfte kommen, die bereit sind, in den neuen, dann notwendigen Pflegeheimen zu arbeiten? Wie soll hier die Pflege plötzlich viel besser werden, wenn sie gleichzeitig Geld spart, weil statt der 1:1-Betreuung eine Pflegekraft für viel mehr Patienten zuständig ist? Hier handelt es sich um eine offensichtlich falsche, widersprüchliche und vorgeschobene Behauptung.

Nur Pflegeheime „heilen“ Intensivpflegepatienten?

Intensivpflegebedürftige Menschen sind keine einheitliche Gruppe. Einige sind vorrübergehend, andere „für immer“ intensivpflegebedürftig. Einige erholen sich nach einem Unfall wieder, andere leiden an einer unheilbaren Krankheit, deren Verschlechterung wir (heute noch) nicht aufhalten können.

Ihre Behandlung und die Maßnahmen in der Pflege bestimmen immer Ärzte – nicht Pflegedienste, nicht die Angehörigen.

Ob ein Patient also von der Beatmung entwöhnt wird (das viel diskutierte Weaning) oder nicht, entscheidet ein Arzt. Die Erfolgsquote ist dabei zurzeit noch relativ schlecht: von den Patienten, die entwöhnt werden sollen, können nur 10 % wirklich von der Beatmung entwöhnt werden.

Andere Intensivpflegebedürftige Patienten (rund 30 %) sind gar keine Beatmungspatienten – auch in einem Heim können sie also nicht „entwöhnt“ werden.

Fazit: Ein klares Nein zum Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz

Letztlich kann zum Gesetzentwurf nur ein klares Nein kommen. Wegen all dieser Gründe – aber allein der erste sollte reichen.

Das Gesundheitssystem kann nicht repariert werden, indem wir ausnutzen, dass sich einige Menschen nicht wehren können, wenn sie aus ihrem Zuhause geholt werden. Die Idee, dass Menschen, die ihre Wünsche nicht mehr äußern können, keine Wünsche haben, ist absurd.

Es bleibt zu hoffen, dass zumindest im Nachhinein die Stimme der Betroffenen gehört wird