Pflege der Vergangenheit: 90er

29.04.2022

Pflege der Vergangenheit: 90er

Die Pflege der 90er: Hoch- und Tiefpunkte

Immer wieder liest man in der Pflege Sätze die anfangen mit „Seit den 90ern wurden in der Pflege …“ – es geht dann um den Stellenabbau und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen seit den 90ern. Man könnte also meinen, das Jahrzehnt sei das goldene Zeitalter der Pflege gewesen.

Tatsächlich gab es aber auch in den gelobten 90ern Probleme in der Pflege – und die meisten davon halten sich (mal wieder) bis heute.

Pflegeversicherung – erst seit 1995

Durch die Einführung der Pflegeversicherung wurde die Pflege teilweise umstrukturiert und es gab in den 90ern einen rapiden Anstieg in der Zahl der ambulanten Pflegedienste.

Damit stieg auch der Fachkräftebedarf – die Pflege zu Hause erfolgt fast immer im 1:1-Verhältnis für jeden Besuch, während Angestellte in Pflege- und Altenheimen sich mit wesentlich kürzeren Wegen zwischen den einzelnen „Patiententerminen“ in der gleichen Zeit um mehr Patienten kümmern können.

Mehr psychische Erkrankungen und Demenz

In den 90ern steigt das Bewusstsein für psychische Erkrankungen als relevanter Faktor für die Gesamtgesundheit von Patienten (und Angestellten – dazu unten mehr).

Es ist eine Veränderung in der Diagnose von Menschen zu erkennen, die in Pflegeheimen leben. Rund dreiviertel der Bewohnerinnen und Bewohner sind an Demenz erkrankt.

Andersrum wird der Begriff „Burn Out“ populärer und auch für die Pflege benutzt. Die ständige Überbelastung, die wir auch heute kennen, läuft damals erstmals unter Burn Out auf den Pflegestationen und im Krankenhaus. Eine echte Gegenmaßnahme gab es auch damals nicht.

Die Akademisierung der Pflege – 90er-Version

In den 90ern wurde das Streben nach einer akademischen Pflege noch mal größer. Unter anderem, weil europäische Empfehlungen eigentlich eine immer größere Qualifikation der Pflegekräfte anstrebten – während Deutschland ausgerechnet dagegen arbeitete und die Anforderungen an schulische Vorbildung noch mal senkte.

Es konterte die Robert-Bosch-Stiftung mit einem Thesenpapier „Pflege braucht Eliten“. Der erste Schritt: Ausbildung von Lehrkräften für die weitere Akademisierung der Pflege.

„Pflege braucht Eliten“ wurde auch in der Ärztezeitung 1992 besprochen. Hier wird auf Lob verwiesen, aber auch Skepsis geäußert: Kann sich eine akademisch gebildete Pflegekraft wirklich in der Hierarchie des Krankenhauses eingliedern? Ähnliche Sorgen (oder Hoffnungen) trieben noch 2012 übrigens die WELT um: sorgt die Akademisierung der Pflege für eine Auflösung der aktuellen Geschlechterverhältnisse im Krankenhaus? Damals war die Berufsaussicht der Pflegekräfte mit akademischem Titel übrigens noch etwas unkreativer als heute: sie bereiteten sich darauf vor, selbst Lehrerinnen und Lehrer in der Pflege zu werden.

Die Diskussion läuft weiter und ist auch mit vielen mittlerweile geschaffenen Hochschulstudiengängen nicht ihrem Ende nahe – bleibt die akademisierte Pflege, wird sie ausgebremst oder explodiert sie demnächst?

Eine Entwicklung ohne Ende

Mittlerweile fällt monatlich ins Auge: Kaum ein Problem, das in einem vergangenen Jahrzehnt in der Chronik der Pflege aufgekommen ist, ist heute gelöst. Stattdessen kommen Probleme, Beschwerden und Sorgen der Vergangenheit uns immer wieder allzu bekannt vor.

Wo sind die Lösungen der Pflegeprobleme und die positiven Berichte über echte Veränderungen? Die größte echte Revolution, über die wir in den letzten Jahren berichten konnten, war das Buurtzorg-Modell aus den Niederlanden.

Wo bleiben die revolutionären Ideen in Deutschland?