12.02.2021
Pflege mit Herz - Ein Balanceakt?
Bei der Pflege immer mit ganzem Herz dabei sein – geht das? Oft ist die Aufgabe schwierig, denn sie bedeutet einen Balanceakt: Wer jedes Leid mitdurchlebt, geht daran kaputt. Wer sich abhärtet, macht seinen Job nicht mehr gut. Wo liegt die „goldene Mitte“ und wie kann man sie für sich auspendeln: Wir haben einige Tipps gesammelt.
Dafür sehen wir uns verschiedene Bereiche davon an, was „Pflege mit Herz“ eigentlich bedeutet. Mitfühlen, wenn es anderen schlecht geht? Erkennen, was sie brauchen? Aber auch da sein, Stabilität zeigen und „Mensch bleiben“, wenn Routine überhand zu nehmen droht.
Mitgefühl, Mitleid und Empathie: Was mitschwingt, wenn wir andere leiden sehen
Wer andere Menschen leiden sieht, reagiert ganz automatisch. Denn Menschen empfinden mit – sie haben Empathie.
Dabei empfindet man das Leid eines anderen oft unwillkürlich: Der Anblick einer traurigen oder verletzten Person macht traurig oder tut weh.
Noch schwieriger ist es, wenn wir mit jemandem sprechen und umgehen, dem es schlecht geht – und wir können das Leid nicht „wegnehmen“ oder „heilen“. Gerade in der Pflege geht es natürlich darum, das Leid zu lindern, die Situation zu verbessern und etwas Gutes mitzubringen. Aber im Alltag gehört auch die Erkenntnis und Erfahrung dazu, dass sich nicht alles reparieren oder beseitigen lässt.
Erfahrung und Wissen vergrößern unser Mitgefühl
Ein reiner Reflex ist das „Mitfühlen“ aber nicht, es hängt natürlich eine Menge Erfahrung und Wissen damit zusammen. Manchmal erkennt man später eigene Erlebnisse oder Gefühle in anderen wieder. Und manchmal erkennt man ein Problem erst, wenn man etwas darüber gelernt hat und es versteht.
Eine ausgebildete Pflegefachkraft, die zu einem neuen Patienten kommt, erkennt durch ihre Ausbildung wundgelegene Stellen sofort als solche. Ein naiver Besucher denkt vielleicht, hier hat nur „mal“ das Bettlaken gescheuert.
Wer selbst mal in einer hilflosen Lage war und sich daran erinnert, von anderen abhängig gewesen zu sein, erinnert sich vielleicht an diese unangenehmen Gefühle, wenn er Patienten in einer ähnlichen Situation begegnet.
Projektion, Gegenübertragung und Interpretation
Das Gute an Empathie aus Intuition, Erfahrung oder Wissen ist, dass wir dadurch erkennen, wo Hilfe nötig ist. Wer eine Krankheit oder Symptome erkennt, kann die passende Heilung oder Linderung finden. Wer eine emotionale Notlage wiedererkennt, kann die Hilfe geben, die ihm selbst früher fehlte.
Es gibt aber zwei Kehrseiten dieser Empathie. Die eine ist das eigene Leiden am Leiden anderer: Wer jede Wunde mitfühlt, jede Traurigkeit nachempfindet und sich die Gefühle jedes neuen Patienten „anzieht“ wie einen Mantel, ist schnell überlastet. Denn ein Mensch kann nicht die Last von 15 tragen, nur weil sie da ist.
Ein anderer Punkt ist vor allem ein professionelles Risiko: Viel Hintergrundwissen und eigene Erfahrungen können auch dazu führen, dass man „überall“ Leid sieht, das vielleicht gar nicht da ist. Manchmal ist eine wunde Stelle wirklich durch einen harmlosen kleinen Unfall entstanden und es gibt keinen Grund zur Sorge.
Wer viel Erfahrung in der Pflege bestimmter Krankheiten hat, hat oft auch schon einen schlechten Verlauf gesehen. Manchmal neigen wir in solchen Fällen dazu, jede „kleine“ Variante genauso zu gewichten, wie die schlimmsten Versionen.
Und zuletzt: alle Menschen empfinden ihre Situation für sich und unterschiedlich. Seine eigenen Erfahrungen in den anderen „zu projizieren“ bedeutet oft auch, sie schlimmer zu vermuten, als sie sind. Manche Menschen finden es furchtbar, auf andere angewiesen zu sein. Viele kommen damit aber auch gut zurecht, wenn ihr Gegenüber ihnen hilft.
„Zu viel Empathie“ bremsen
Wer merkt, dass er zu „zu viel“ Mitgefühl neigt und immer das Schlimmste befürchtet, kann sich manchmal durch Hinterfragen helfen. Die Frage lautet dann: Sind die Probleme hier wirklich so schlimm, wie ich denke? Oder sehen sie für mich schlimmer aus?
In der Supervision oder im einfachen Austausch mit anderen Pflegeexperten kann man sich bewusstwerden, was „echt“ ist und was Projektion. Wer sich häufig in die Falle der Gegenübertragung tappen sieht, kann sich zum Thema auch weiterbilden und lernen, besser zwischen eigenen und fremden Gefühlen zu unterscheiden.
Pflege mit Herz: Das ist mehr als Empathie und Mitleid
Bei der Pflege mit Herz geht es nicht nur darum, mitzufühlen. Intuition und Mitgefühl sind sehr gute Wegweiser dafür, was jemand emotional braucht. Für die Pflege bedeutet das: Sie geben einen Hinweis darauf, welcher Tonfall passt.
Eine Pflegekraft kommt für die Pflege ins Haus. Ob Basis- und Grundpflege oder Intensivpflege: Die Hilfe, die die Pflege leistet, ist nicht weniger wertvoll als reiner emotionaler Beistand. Sie bildet die Grundlage dafür, dass wichtige Bedürfnisse eines Menschen erfüllt sind: körperliches Wohlergehen, Essen, Trinken, Schmerzfreiheit. In vielen Fällen schlicht: die Versorgung mit Sauerstoff.
Emotionaler Beistand ist etwas anderes. Nicht unwichtig, aber auch nicht Bestandteil der Pflegeleistung.
Das „Wie“ entscheidet
Bedeutet das, das Pflege kalt ist? Nein. Pflege mit Herz beschreibt wie wir pflegen, nicht was wir machen.
Wer mit Herz pflegt, behält im Kopf, dass jeder Patient Mensch ist – nicht nur jemand, an dem wir Routineaufgaben erledigen. Jeder Besuch ist die Begegnung mit Menschen und ein Treffen. Dabei herzlich und freundlich zu sein, gehört dazu.
Nicht so, wie das oft im Servicebereich verstanden wird: Lächeln und Winken und hinterher fluchen. Sondern so, wie es funktionieren kann: Authentisch und natürlich, mit einer klaren Vorstellung vom „Sinn“ des Besuchs.
Nicht nur Leid, sondern auch Freude erkennen (helfen)
Pflege mit Herz bedeutet deswegen nicht, sein Herz wegzusperren, damit die Gefühle anderer Platz haben. Wer mit Herz pflegt, bringt natürlich auch sich selbst mit. Hat mal einen lauten oder leisen Tag und mal gute oder schlechte Laune. Das ist normal – und kein Problem, denn die Leistung der Pflege ist kein Schauspiel immer guter Laune, sondern pflegerische Versorgung.
Wie überall gilt: schlechte Laune lässt man nicht an seinem Gegenüber aus – darüber sprechen darf man aber. Es ist doch viel menschlicher, dem Gegenüber zu sagen „Heute habe ich mich geärgert, weil wieder kein Parkplatz da war!“ – und am nächsten Tag, dass man sich gefreut hat, weil sofort ein Platz frei war. Und man muss sich von der schlechten Laune eines anderen nicht mitnehmen lassen. Wenn sich jemand ärgert, lässt man Raum dafür – aber man muss diesen Raum nicht in sich aufmachen.
Häufig schafft man Abhilfe von allen schlechten Gedanken und Stimmungen, indem man das Gute in den Vordergrund stellt. Was heute geklappt hat, was schön war oder ist und woraus man Freude schöpft. Das bringt nicht nur für Patienten etwas Gutes mit, sondern auch für sich.