Pflege verändern mit dem Buurtzsorg-Modell?

03.06.2019

Pflege verändern mit dem Buurtzsorg-Modell?

In der Pflege fehlen Arbeitskräfte, Angestellte haben nicht immer genug Zeit, Führungskräfte haben wenig Überblick, die Arbeit mit den Krankenkassen ist schwierig – die Missstände in der Pflege sind bekannt. Hauptsächlich wird die Diskussion dabei über Geld geführt und über Zeit – und durch Hinweise auf begrenzte Ressourcen wieder ausgebremst.

Lösung der Pflegekrise durch Schrauben an den Parametern eines vorhandenen Systems ist nicht mehr möglich. Alternative Modelle, die Lösungsvorschläge bereithalten, sind gefragt. Eine Alternative, die gerade in NRW getestet wird, ist das niederländische buurtzorg-Modell – basierend auf der Idee der „Nachbarschaftshilfe“.

Alternatives Pflegemodell Buurtzorg aus den Niederlanden

Das alternative Pflegesystem buurtzorg wird aktuell als Vorbild für Deutschland gehandelt. In verschiedenen Medien wird es als mögliche Lösung der Pflegekrise diskutiert, oder zumindest als alternatives Pflegemodell mit vielen Vorzügen vorgestellt.

Die Grundidee: Statt vorgeschriebener Leistungen erbringen Pflegekräfte beim Patienten die Hilfe, die aktuell benötigt wird. Häufig ist das eine regelmäßige Unterstützung in einer bestimmten Form, aber das Modell lässt Raum für spontane Nöte oder Bedürfnisse. Ein vielfach erwähntes Beispiel ist das gemeinsame Kaffeetrinken und Reden statt einer Dusche für eine Patientin, die sich traurig fühlt oder einsam.

Gleichzeitig baut das alternative Pflegemodell stark auf der Mithilfe der Angehörigen auf, insbesondere, wenn sie im gleichen Haushalt oder in der Nähe der Pflegebedürftigen leben. Ganz flexibel und individuell besprechen Pflegekräfte mit Patienten, Angehörigen und auch Nachbarn oder Freunden – allen also, die mit der Pflege Berührungspunkte haben – welche Unterstützungs- oder Pflegeleistungen wer erbringen kann.

Selbstständige Patienten, hilfsbereite Bezugspersonen

Bei buurtzorg steht die Selbstständigkeit aller Beteiligten im Vordergrund: Pflegekräfte sind gleichzeitig selbst Verantwortliche. Sie entscheiden, welche Leistungen sie vor Ort erbringen. Denn bezahlt wird von den Krankenkassen nach Zeit, nicht pro Leistung. Natürlich wird trotzdem (grob) festgehalten, welche Unterstützung, Behandlung oder Hilfe ein Patient oder eine Patientin bekommt, damit die Kommunikation mit Ärzten funktioniert und es einen Überblick gibt, in welchen Bereichen die Unterstützung am meisten gebraucht wird.

Dabei wird aber – außerhalb von medizinischer Behandlung – die Entscheidung der Pflegekraft zugrunde gelegt, nicht des medizinischen Dienstes oder eines Arztes oder einer Ärztin. Die Personen, die bei der Pflege helfen werden, besprechen regelmäßig wie viel Zeit für wen notwendig ist.

Durch die individuelle regelmäßige Anpassung können Maßnahmen, die die Selbstständigkeit der Gepflegten fördern, besser eingesetzt werden: Es ist Zeit, anfangs geduldig mit jemandem eine Fähigkeit zu lernen, die später den Pflegebedarf enorm reduziert.

Ausnahmsweise werden Angehörige, Nachbarn oder Freunde in die Pflege eingebunden: Es ist Zeit für Erklärungen und Anleitungen vorgesehen.

Vor- und Nachteile des Systems

Das alternative Pflegemodell wirkt aus der Perspektive der deutschen Organisationsstruktur vor allem unkontrollierbar. Es lässt sich nicht in das aktuelle System integrieren und müsste es stattdessen ablösen. Kann das funktionieren? Und wäre der Umstieg den Preis wert?

Erste Untersuchungen deuten an, dass Patienten und Patientinnen im neuen Modell zufriedener mit der Pflege sind. Auch Pflegekräften geht es mit der Verantwortung besser und Angehörige begrüßen die flexible Unterstützung.

Hier kann allerdings eine Perspektivverzerrung am Werk sein: Nur Pflegekräfte, die mit dem Modell sympathisieren, melden sich für das Pilotprojekt. Und nur Patienten mit Familien oder Nachbarn, die sowieso schon an der Pflege interessiert sind, wenden sich von allein an einen Pflegedienst mit dem spezifischen Angebot von buurtzorg.

Durch buurtzorg wird aber deutlich: Die von der Politik vielbeschworenen Investitionen in die Pflege muss massiv sein oder mit dem Umbau auf ein neues Pflegemodell einhergehen. Denn durch etwas mehr Geld oder manchmal zwei Minuten mehr erreichen wir nie die starke Betonung von Vertrauen und Menschlichkeit, die unsere Pflegekräfte und wir als Pflegedienste zur Zeit nur gegen Widerstände einbringen können. Die Probleme in der Pflege heute stecken im System – nicht in den Leuten, nicht in den Pflegediensten.