12.05.2023
Ursachenforschung: Weniger Auszubildende in der Pflege
2022 gab es rund sieben Prozent weniger Auszubildende in der Pflege als 2021 – das zumindest sagen vorläufige Zahlen, die bis Juni noch stark nachkorrigiert werden müssen. In welche Richtung kann man naturgemäß noch nicht sagen.
Neben der Meldung selbst ist die Diskussion darüber spannend. Gleich zu Beginn meldeten sich zwei laute Stimmen: diejenigen, die in dem Rückgang eine Ablehnung der generalisierten Pflegeausbildung sehen – und diejenigen, die auf diese Unkenrufe mit dem Hinweis reagieren, Ursachenforschung sei vor Vorliegen aller Zahlen nicht angemessen.
Wir wollen uns mit diesen Gründen auseinander setzen (im vollen Bewusstsein, dass die Diskussion noch teils hypothetisch ist.
Bleiben Auszubildende wegen der Generalisierten Pflegeausbildung weg?
Die These der Kritiker der generalisierten Pflegeausbildung: auch potenzielle Auszubildende sehen Schwachstellen in dieser Ausbildungsstruktur und bleiben deswegen weg. Alle anderen möglichen Gründe zunächst außen vorgelassen: wie wahrscheinlich ist diese Erklärung?
Wie sucht man sich eine Ausbildung aus?
Schüler*innen und Absolvent*innen suchen sich ihre Ausbildung vermutlich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten aus. Wenn man sich selbst an die Überlegungen zur eigenen Ausbildungswahl erinnert, fallen einem schnell viele Punkte ein:
· Wie interessiert bin ich an dem Bereich?
· Bin ich ein theoretischer oder praktischer Typ?
· Will ich „im Büo“ arbeiten oder lieber viel unterwegs sein?
· Passt die Ausbildung zu meinem Abschluss?
· Wie gut oder schlecht wird die Ausbildung bezahlt?
· Wie gut sind meine langfristigen Aussichten?
· Kann ich zu Hause oder in meiner Stadt wohnen bleiben oder muss ich umziehen?
· Will ich mit oder „am“ Menschen arbeiten oder lieber „nur“ mit meinen Kolleg*innen?
· Bin ich der Typ für Nachtschichten?
Oder auch einfach nur „Was empfehlen meine Eltern?“, „Was macht mein*e beste*r Freund*in?“ oder „Wo wird meine Bewerbung akzeptiert?“.
Welchen Einfluss hat die Ausbildungsstruktur?
Für jede*n ist dieser Entscheidungsprozess anders und manche Faktoren sind wichtiger als andere. Fraglich ist, ob in der Liste vieler junger Menschen wirklich eine detaillierte Auseinandersetzung mit der konkreten Struktur einer Ausbildung vorkommt.
Das liegt nicht daran, dass sie nicht interessiert daran wären, wie sie lernen. Als erstes muss man aber bedenken, dass sie sicher nicht die gleiche Informationslage und Perspektive wie Pflegeexperten oder der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, der die generalisierte Pflegeausbildung direkt als „schweren politischen Fehler“ bezeichnete.
Wie viele ausgebildete Erwachsene können spontan den Unterschied zwischen der alten und neuen Pflegeausbildung erklären, Vor- und Nachteile abwägen und eine differenzierte Empfehlung für eine*n Kandidat*in abgeben? Auch wir haben vor fünf Jahren schon betonen müssen, dass wir die Entwicklung abwarten müssen und die Änderungen an der Ausbildung nicht vorab beurteilen können.
Woher bekommen potenzielle Azubis ihre Informationen?
Wer sich online über verschiedene Ausbildungsarten informieren möchte, bekommt vor allem allgemeine Hinweise. Die Informationen, die Interessent*innen hauptsächlich erreichen, kommen nicht aus Strukturvorgaben, sondern von Freund*innen und Bekannten, die jetzt schon in der Ausbildung sind, oder die schon lange in der Pflege arbeiten.
Und sie lesen und hören, was in den Nachrichten erscheint, was Influencer*innen in sozialen Medien teilen und vielleicht, was auf den Webseiten (und in Blogs) von Pflegediensten steht. Über die Jahre gab es immer wieder Gegenkampagnen aus der Pflege, die „Werbeversprechen“ zum Arbeitsplatz Pflege berichtigen wollten. Und gerade während und auch nach Corona gab und gibt es viele Erfahrungsberichte direkt aus der Pflege, die die schlechten Seiten des Arbeitsalltags zeigen.
Struktur oder Zukunftsperspektive?
Die Idee, die Struktur der Ausbildung sei für potenzielle Azubis wichtiger als das Image der Branche, das Gehalt und die Arbeitsbedingungen, scheint etwas obskur. Nur weil Bachelor und Master eingeführt wurden und die Struktur vieler alter Diplomstudiengänge gerade in der Anfangsphase sehr chaotisch über den Haufen geworfen haben, haben sich wenig Abiturienten „wegen der Strukturänderungen“ für eine Alternative zum Studium entschieden (die Zahlen sind sogar drastisch gestiegen).
Ein wesentlich entscheidender Faktor für die Wahl der Ausbildung kann die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme sein. Wie viele Auszubildende finden einen guten Arbeitsplatz nach Ihrer Ausbildung – idealerweise sogar bei dem Unternehmen, bei dem sie auch gelernt haben?
Bei uns sind zuletzt drei Azubis fest eingestiegen. Mehr dazu nächste Woche!