25.10.2019
Pflegegrad Modul 1: Kriterium Mobilität
Die Beurteilung des Pflegegrads umfasst fünf Module, von denen das erste Mobilität ist. Es geht also um die Bewegungsfähigkeit eines Menschen: Aufstehen, Gehen, Sitzen und auch Treppensteigen.
Wenn jemand Pflege beantragt, besucht ein Gutachter oder eine Gutachterin vom medizinischen Dienst diese Person. In einem Gespräch werden alle Kriterien besprochen. Einige Fähigkeiten werden auch getestet.
Die Beurteilung hier reicht von „selbstständig“ bis zu „unselbstständig“. Je mehr Hilfe jemand benötigt, desto unselbstständiger ist die Aktivität.
- Wer alles allein schafft, bekommt 0 Punkte (selbstständig).
- Wer etwas oder selten Hilfe benötigt, bekommt 1 Punkt (überwiegend selbstständig).
- Wer meistens Hilfe benötigt, bekommt 2 Punkte (überwiegend unselbstständig).
- Wer immer Hilfe benötigt, bekommt 3 Punkte (unselbstständig).
Ein Beispiel: Beurteilung durch den medizinischen Dienst
Wir sehen uns die Kriterien an einem Beispiel an. Frau Müller lebt in einer Wohnung. Ihr Enkelsohn wohnt in der Wohnung nebenan und hat ihr beim Antrag geholfen. Er übernimmt einen Teil der Betreuung, einen Teil übernimmt schon ein Pflegedienst.
Der medizinische Dienst hat einen Termin vorgeschlagen. Jetzt sind Frau Müller, ihr Enkel und eine Pflegerin, die Frau Müller schon länger kennt, in ihrer Wohnung. Der Gutachter vom medizinischen Dienst klingelt und begrüßt alle. Er bemerkt, dass nicht Frau Müller, sondern ihr Enkel ihm die Tür aufmacht. Frau Müller stützt sich zur Begrüßung auf den Tisch.
Mobilität beurteilen 1: Positionswechsel im Bett
Beim „Positionswechsel im Bett“ geht es darum, ob jemand sich im Bett bewegen kann. Damit sind keine besonderen Turnübungen gemeint. Es geht nur darum, sich zum Beispiel von der Seiten- und die Rückenlage zu drehen, sich aufzusetzen oder die Liegeposition zu verändern, um schlafen zu können.
- Wer sich ohne Hilfe im Bett bewegen kann, ist „selbstständig“ und hat hier keine Einschränkungen.
- Überwiegend selbstständig ist, wer nur eine kleine Hilfe benötigt, zum Beispiel das Anreichen eines Hilfsmittels oder einer Hand.
- Überwiegend unselbstständig ist, wer Hilfe benötigt, aber selbst dabei helfen kann. Zum Beispiel durch kleine Positionsveränderungen.
- Unselbstständig ist, wer sich nicht selbst bewegen kann oder nur minimal helfen kann.
Beispiel: Frau Müllers Enkel hat einen Griff über dem Bett montiert. Damit kann sie sich auch aufsetzen. Umdrehen, Einschlafen und Kissen richten kann sie noch selbst. Der Gutachter empfiehlt zwar, einen anderen Griff zu kaufen. Aber allgemein ist Frau Müller hier definitiv selbstständig.
Mobilität beurteilen 2: Sitzen und Halten einer Sitzposition
Bei diesem Kriterium geht es darum, ob jemand aufrecht sitzen kann. Dabei sollte die Sitzposition stabil sein: Wenn jemand ohne Hilfe immer wieder „wegsackt“, kann er nicht aufrecht sitzen.
Wichtig ist hier wieder, ob die Person Hilfe von anderen Menschen braucht. Hilfsmittel – Stützen, besondere Stühle oder ähnliches tragen zur Selbstständigkeit bei.
- Wer gut auch längere Zeit sitzen kann, ist „selbstständig“.
- Wer nur in etwa die Dauer einer Mahlzeit oder eine Körperwäsche selbstständig übersteht, ist „überwiegend selbstständig“.
- Wer auch beim Essen immer wieder Hilfe benötigt, um die Sitzposition zu korrigieren, sich aufzusetzen oder aufrecht zu halten, ist „überwiegend unselbstständig“.
- Wer sich gar nicht in Sitzposition halten kann, ist „unselbstständig“
Beispiel: Frau Müller sitzt gern in Ihrem Sessel im Wohnzimmer oder am Küchentisch. Sie mag Stühle mit Arm- und Rückenlehnen. Aber sie benötigt keine Hilfe beim Sitzen und kann dabei essen oder lesen. Sie ist selbstständig.
Mobilität beurteilen 3: Umsetzen
Umsetzen bezieht sich auf den Wechsel von einer Sitzgelegenheit zur anderen. Beispielsweise vom Rollstuhl auf die Toilette oder vom Bett in einen danebenstehenden Sessel.
Wieder gelten ähnliche Beurteilungskriterien:
- Selbstständig ist recht weit gefasst: Auch wer sich mit Hilfe von Gegenständen umsetzen kann, ist selbstständig. Stehen können ist dabei nicht wichtig, nur das Umsetzen von einer Sitzgelegenheit zur anderen.
- Eine Handreichung (ohne viel Kraftaufwand) ist ein Kriterium für jemanden, der sich „überwiegend selbstständig“ bewegen kann.
- Wenn ein anderer Mensch die Person mit Kraft unterstützen muss – beispielsweise durch Heben, Abstützen oder Leiten –, aber sie noch selbst stehen kann oder Kraft aufbringt, sich selbst zu stützen, ist die Person „überwiegend unselbstständig“.
- Wer keine eigene Kraft zur Hilfe aufbringen kann, ist „unselbstständig“.
Beispiel: Frau Müller kann zwar manchmal ohne Hilfe aufstehen, allgemein ist sie aber sehr unsicher auf den Beinen. Ihr Enkel und die Pflegekraft haben bemerkt, dass sie nicht allein zur Toilette geht und versucht, auf eine Hilfe zu warten. Sie steht also nicht gern beispielsweise von ihrem Sessel auf, um sich in der Küche hinzusetzen. Der Gutachter beurteilt unter diesem Punkt aber nur, ob sie sich umsetzen kann: Frau Müller ist hier selbstständig.
Mobilität beurteilen 4: Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs
Bei diesem Kriterium geht es darum, wie gut sich jemand in der Wohnung bewegen kann. Wie bereits bei den anderen Kriterien ist nur wichtig, ob ein anderer Mensch helfen muss. Wer also gut in einem Rollstuhl oder mit einem Rollator zurechtkommt, gilt als selbstständig in diesem Bereich.
- Wer mindestens acht Meter laufen kann – auch mit Hilfsmitteln oder durch Abstützen – gilt als „selbstständig“.
- Wer die Strecke meist selbstständig schafft, aber Unterstützung durch Bereitstellung von Hilfsmitteln, Stützen oder Unterhaken braucht, ist „überwiegend selbstständig“. Das gilt auch, wenn das Sturzrisiko so groß ist, dass die Person zur Sicherheit beobachtet werden muss.
- Wer nur Krabbeln oder Robben kann oder selbst ohne Hilfe eines anderen Menschen nur wenige Meter schafft, ist „überwiegend unselbstständig“.
- Wer getragen oder im Rollstuhl geschoben werden muss, gilt in dieser Kategorie als „unselbstständig“.
Beispiel: Wie beschrieben ist Frau Müller beim Laufen sehr unsicher. Sie behauptet allerdings, dass das gar nicht so schlimm sei, weil sie sich für die Gespräche über den Weg zur Toilette schämt. Ihr Enkel nimmt sich vor, diesen Punkt in einem Gespräch unter vier Augen mit dem Gutachter noch einmal anzusprechen. Vorerst hält der Gutachter fest, dass sie „überwiegend selbstständig“ ist.
Mobilität beurteilen 5: Treppensteigen
Treppensteigen ist auch dann wichtig für die Beurteilung der Mobilität, wenn im Haus oder in der Wohnung keine Treppen vorhanden sind. Hier muss sich der Gutachter also oft auf Erzählungen oder Beschreibungen verlassen.
- Wer selbstständig aufrecht Treppensteigen kann, ist „selbstständig“, auch wenn er oder sie sich stark am Geländer abstützen muss.
- Wer ein höheres Sturzrisiko hat und deswegen nur in Begleitung Treppensteigen kann, ist „überwiegend selbstständig“, auch wenn er oder sie meist allein läuft.
- Wer nur mit Hilfe eine Treppe überwinden kann (stützen, festhalten), ist „überwiegend unselbstständig“.
- Nur wer sich nicht am Weg die Treppen hinauf oder hinunter beteiligen kann und z.B. getragen werden muss, ist „unselbstständig“.
Beispiel: Frau Müller verlässt die Wohnung im ersten Stock nur in Begleitung von anderen. Sie kann zwar zwei oder drei Treppenstufen am Geländer hochsteigen, aber kann keine Treppen allein hinunter gehen. Sie muss sich auf einer Seite festhalten und auf der anderen gestützt werden. Der Gutachter beurteilt sie hier als „überwiegend unselbstständig“.
Besonderer Bedarf und Auswertung
Patienten, die beide Arme und Beine nur noch minimal oder gar nicht bewegen können, können Pflegegrad 5 zugewiesen bekommen, obwohl sie durch die übrigen Module nicht die „Punktzahl“ von 90 erreichen würden. Andere Ausnahmen für den „besonderen Bedarf“ gibt es in diesem Modul nicht.
Zur Auswertung des Moduls werden alle Punkte addiert. In die Gesamtwertung fließen sie zu 10 % ein. Maximal sind 15 Punkte möglich (3 Punkte in allen Bereichen). Frau Müller aus dem Beispiel hat hier „geringe Einschränkungen“ mit drei Punkten insgesamt.