17.04.2020
Pflegegrad Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Der Pflegegrad einer pflegebedürftigen Person bestimmt, wie viel Geld die Pflegekasse für die Pflege bereitstellt – für Sachleistungen oder als Pflegegeld. Er wird abhängig von den Fähigkeiten und Bedürfnissen einer Person bestimmt. Dazu werden Punkte in mehreren Modulen vergeben. Im sechsten Modul geht es um die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.
Genau wie in den früheren Modulen 1-5 wir die Selbstständigkeit einer Person beurteilt. In jedem der sechs Bereiche gibt es dabei zwischen 0 und 3 Punkten – von sehr unselbstständig bis sehr selbstständig.
Wir werden wieder am Beispiel von Frau Müller sehen, wie die Bewertung abläuft. Ihr Enkel und eine Pflegekraft sind bei dem Termin mit dem medizinischen Dienst dabei.
Bereich 1: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen
Bei der Gestaltung des Tagesablaufs geht es um den Aufbau von Routinen und Vorlieben und die Flexibilität, diese Pläne im Zweifel anzupassen.
Beispielsweise sollte eine sehr selbstständige Person ihre eigenen Gewohnheiten und spezielle Ereignisse einplanen können: Jeden Tag wird regelmäßig gegessen und es gibt Zeit für die Körperpflege. Einige pflegebedürftige Personen können oder müssen auch arbeiten, zur Schule gehen oder studieren. Außerdem gehören Haushaltspflichten zu den regelmäßigen Aufgaben in einem Terminplan.
Besondere Ereignisse können Einladungen sein oder beispielsweise Besuch von Freunden oder Bekannten. Aber auch Kleinigkeiten: Wenn es regnet oder sogar stürmt, sollte man einen Spaziergang eher verschieben.
Die Beurteilung erfolgt auf der bekannten Skala:
· Selbstständig (0 Punkte) ist jemand, der all diese Pläne allein und ohne fremde Hilfe machen kann und den Überblick über seinen Tagesablauf hat.
· Überwiegend selbstständig (1 Punkt) ist jemand, sobald seine Fähigkeit, die Pläne allein zu machen, zumindest leicht eingeschränkt ist – beispielsweise auch, weil durch das Hör- oder Sehvermögen aktive Erinnerungen durch andere nötig sind.
· Überwiegend unselbstständig (2 Punkte) ist jemand, der seinen Tagesplan eher von außen vorgegeben bekommt und nur mitentscheidet – beispielsweise durch Ablehnung oder Zustimmung.
· Unselbstständig (3 Punkte) ist jemand, der selbst nicht oder nur geringfügig an der Tagesplanung beteiligt sein kann.
Beispiel: Frau Müller erledigt ihre Planung größtenteils allein und ist den Tagesablauf, der durch Besuche des Pflegediensts oder ihrer Verwandten vorgegeben wird, gewohnt. Bei besonderen Terminen – Untersuchungen beim Arzt oder Besuch – muss sie aber immer häufiger erinnert werden. Sie fällt nach Schilderungen ihres Enkels, denen sie nicht widerspricht, eher in den Bereich überwiegend selbstständig und bekommt einen Punkt.
Bereich 2: Ruhen und Schlafen
In diesem Bereich geht es um Ruhephasen, die tagsüber nötig sind und von der Person als notwendig erkannt und umgesetzt werden, und um Nachtruhe. Schlaflosigkeit an sich ist dabei kein Hindernis, aber es geht um den Umgang mit diesem Problem.
· Selbstständig (0 Punkte) ist jemand, der die Aktivitäten selbstständig durchführen kann.
· Überwiegend selbstständig (1 Punkt) ist jemand, der bei der Einhaltung von Ruhe- oder Schlafphasen Pause benötigt. Er oder sie benötigt gelegentlich Hilfe, beispielsweise um nachts wieder zur Ruhe zu kommen.
· Überwiegend unselbstständig (2 Punkte) ist jemand, der regelmäßig Hilfe und Unterstützung benötigt – beispielsweise auch körperlich, um nach dem Aufstehen in der Nacht wieder richtig liegen zu können.
· Unselbstständig (3 Punkte) ist jemand, der Unterstützung bei all diesen Aktivitäten benötigt und ohne Hilfe keinen geregelten Ruhe- oder Schlafrhythmus einhalten kann.
Beispiel: Tagsüber setzt Frau Müller sich zum Ausruhen hin, wenn sie müde wird. Sie bittet auch rechtzeitig um Pausen, wenn sie welche benötigt. Nachts ist ihr Schlafrhythmus oft dadurch gestört, dass sie Angst hat und wach wird. Ihren Enkel anzurufen, hilft ihr meist, wieder zu schlafen. Manchmal muss er auch von der Wohnung nebenan rüber kommen, um sie zu beruhigen. Bisher war beiden nicht klar, dass auch dieser Einsatz die Pflegebedürftigkeit von Frau Müller mitbestimmt. Frau Müller erhält in diesem Bereich 2 Punkt.
Bereich 3: Sichbeschäftigen
Hierbei geht es darum, wie jemand seine Freizeit gestalten kann – wählt er selbstständig Hobbies aus, mit denen er sich beschäftigen möchte? Erinnert sich die Person zum Beispiel daran, welches Projekt sie zuletzt liegen gelassen hatte? Weiß sie noch, welche Möglichkeiten zur Beschäftigung ihr frei stehen?
Auch wenn jemand bei der Durchführung Hilfe benötigt, ist das nötige personelle Hilfe.
· Wer selbstständig plant und entscheidet, bekommt 0 Punkte.
· Wer überwiegend selbstständig ist, benötigt nur kleine Unterstützung – beispielsweise das Bereitlegen von Materialien oder eine Erinnerung an ein Vorhaben – 1 Punkt.
· Wer überwiegend unselbstständig ist, benötigt regelmäßige oder größere Unterstützung. Das gilt beispielsweise für Personen die bei Aktivitäten hauptsächlich mitmachen, aber sie nicht selbst initiieren oder durchführen.
· Unselbstständig ist jemand, der Aktivitäten nicht selbst plant und auch bei der Durchführung unselbstständig ist.
Beispiel: Frau Müller wählt selbst aus, womit sie sich beschäftigen möchte. Ihrem Enkel ist aufgefallen, dass sie in letzter Zeit weniger aktiv ist und mehr Erinnerungen an ihre Handarbeitsprojekte benötigt, aber er möchte das noch nicht ansprechen.
Frau Müller bekommt 0 Punkte, weil sie selbstständig ist.
Bereich 4: Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen
Bei diesem Bereich geht es um Pläne, die weiter reichen als in den Alltag des aktuellen Tages. Beispielsweise zukünftige Feiern, Jubiläen oder Feste – aber auch „allgemeine“ Pläne wie Ambitionen oder zum Beispiel Umzüge.
· Selbstständig (0 Punkte) plant jemand, der ohne einschränkende Ängste in die Zukunft sieht und auch Termine im Kopf behält.
· Überwiegend selbstständig (1 Punkt) ist jemand, der einzelne Pläne machen und durchführen kann, aber gelegentlich personelle Unterstützung braucht. Das kann praktische Hilfe sein, aber auch emotionale, wenn jemand beispielsweise durch Ängste Schwierigkeiten hat, sich eine Zukunft auszumalen.
· Überwiegend unselbstständig (2 Punkte) ist jemand, der häufig Unterstützung bei der Durchführung oder Erstellung von Plänen benötigt oder eher zustimmt und ablehnt, als selbst zu entscheiden.
· Unselbstständig (3 Punkte) ist jemand, der nicht mitplanen kann – weil dazu körperliche oder geistige Fähigkeiten fehlen und jemand zum Beispiel kein Konzept von Zeit und zeitlichen Abläufen hat oder keine Vorlieben kommuniziert oder kommunizieren kann.
Beispiel: Frau Müller plant ihre Tagesabläufe selbst und auch in die Zukunft. Sie hat einen kleinen Kalender mit Geburtstagen und Jubiläen, die ihr wichtig sind und über die sie gerne früh zu sprechen beginnt. Sie benötigt zwar Hilfe beim Kauf oder der Auswahl von Geschenken für ihre Enkel, aber ist sonst selbstständig. Der Gutachter beurteilt sie als selbstständig (0 Punkte).
Bereich 5: Interaktion mit Personen im direkten Kontakt
In diesem Bereich geht es darum, wie eine Person im Alltag mit anderen umgeht und spricht. Zu den wichtigen „Fähigkeiten“ gehört das Ansprechen von anderen, das Initiieren von Gesprächen, das Aufgreifen von Gesprächen und Antworten, aber auch das Beenden von Gesprächen. Wichtig ist, dass hier auch körperliche Probleme gewichtet werden, die nicht vollständig durch Hilfsmittel ausgeglichen sind. Wer beispielsweise schlecht hört (sodass andere lauter sprechen müssen) oder schlecht sieht (und Personen erst erkennt, wenn sie bewusst nah herankommen), ist bereits eingeschränkt.
· Selbstständig (0 Punkte) ist jemand, der alle Kommunikation selbstständig durchführen kann.
· Überwiegend Selbstständig (1 Punkt) ist jemand, der kleine Unterstützung benötigt – beispielsweise, dass andere lauter sprechen, herantreten oder „übersetzen“. Es zählt auch die Unterstützung, die jemand vielleicht benötigt, um neue Kontakte zu knüpfen (zu einem Mitbewohner im Altenheim oder einer neuen Nachbarin).
· Überwiegend unselbstständig (2 Punkte) ist jemand, der wenig Eigeninitiative zeigt oder stark körperlich eingeschränkt ist.
· Unselbstständig (3 Punkte) ist jemand, der gar nicht auf Kommunikationsversuche reagiert oder reagieren kann – auch nicht auf Berührung.
Beispiel: Frau Müller ist sehr selbstständig in ihrer Kommunikation. Sie erhält also 0 Punkte.
Bereich 6: Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds
In diesem Bereich geht es darum, dass jemand mit Menschen außerhalb des Haushalts oder Kontaktbereichs Kontakt hält – Leuten, die er nur via Telefon, Brief oder übers Internet erreichen kann beispielsweise. Dabei zählen Telefongespräche einfach um des Gesprächs willen ebenso wie Telefonate, um jemanden einzuladen.
· Selbstständig (0 Punkte) ist jemand, der keine Unterstützung in diesem Bereich benötigt und auch alle nötigen Technologien gut beherrscht.
· Überwiegend selbstständig (1 Punkt) ist jemand, der nur kleine Unterstützung benötigt, beispielsweise bei der technischen Durchführung der Kontaktaufnahme (z.B. jemand, der selbst am Telefon spricht und sich Gespräche wünscht, aber nicht selbst wählen kann. Oder Briefe schreiben oder diktieren, aber nicht frankieren und einwerfen kann).
· Überwiegend unselbstständig (2 Punkte) ist jemand, der selten Kontakte initiiert, sondern hauptsächlich reagieren kann. Dabei ist personelle Unterstützung nötig, damit die Person Geräte zur Kommunikation bedienen kann.
· Unselbstständig (3 Punkte) ist jemand, der keinen Kontakt aufnimmt und auch nicht auf Kontakt von außen reagiert.
Bespiel: Frau Müller ist größtenteils selbstständig in ihrer Kommunikation mit alten Freunden oder entfernter Verwandtschaft. Sie kann zwar kein Smartphone bedienen, aber selbst am Telefon wählen. Wenn sie sich traurig oder allein fühlt, denkt sie nicht immer von allein an all die Menschen, die sie anrufen kann. Ihr Enkel hat ihr dazu ein „Telefonbuch“ mit Bildern neben das Telefon geklebt. So beurteilt der medizinische Dienst die Selbstständigkeit aber noch als vollständig (0 Punkte).
Auswertung des Moduls
Die Auswertung in diesem Bereich ist einfacher als im vorherigen Modul 5: Die Punkte werden aufaddiert und gehen dann je nach Summe in die Gesamtbewertung ein:
· 0 Punkte in den Bereichen -> 0 Punkte für das Modul
· 1-3 Punkte in den Bereichen -> 3,75 Punkte für das Modul
· 4-6 Punkte in den Bereichen -> 7,5 Punkte für das Modul
· 7-11 Punkte in den Bereichen -> 11,25 Punkte im Modul
· 12-18 Punkte in den Bereichen -> 15 Punkte im Modul
Beispiel: In unserem Beispiel hat Frau Müller insgesamt 3 Punkte und das Modul wird mit 3,75 Punkten gewichtet.