Pflegegradeinstufung - automatisch widersprechen?

23.02.2024

Pflegegradeinstufung - automatisch widersprechen?

Fast 30 % aller Widersprüche gegen die Pflegegradeinstufung durch den medizinischen Dienst haben zur Zeit Erfolg. Das ist eine erschreckend hohe Zahl und sie wirft Fragen für die Effektivität des aktuellen Systems auf: wieso müssen so viele Entscheidungen korrigiert werden?

Vorab ist wichtig im Kopf zu behalten, dass es nicht um 30 % Fehlentscheidungen geht, sondern 30 % erfolgreiche Widersprüche. Insgesamt wird nur gegen 7,4 % der Entscheidungen Widerspruch eingelegt.

Und gleichzeitig berichtet die Tagesschau schon im letzten Jahr von den Mühen, die Pflegebedürftige selbst dann unternehmen müssen, wenn offensichtliche Fehler oder sogar gesetzeswidrige Verfahren Teil der Begutachtung waren.

Wie kommt es zu den vielen erfolgreichen Widersprüchen?

Über die Gründe für die vielen falschen zu niedrigen Einstufungen kann man aktuell natürlich nur spekulieren. Ein Hinweis dürfte aber das Drängen des medizinischen Diensts selbst sein, Begutachtungen häufiger per Video-Konferenz durchführen zu dürfen (und die Bereitschaft, siehe Artikel der Tagesschau, Interviews auch sehr kurz via Telefon zu erledigen).

Denn aktuell seien die Mitarbeiter*innen des MD überlastet und ihre Erfahrung zeigt, dass die Videobegutachtung auch gut funktionieren könnte. (Natürlich ist hier die Frage, ob „genauso gut“ dann auch bedeutet, dass viele Fehlentscheidungen getroffen werden).

Ein weiterer Grund kann sein, dass Pflegebedürftige selbst nicht richtig auf die Untersuchungen „vorbereitet“ sind. Eine häufige Falle ist beispielsweise, dass die pflegebedürftige Person gewohnt ist, vor einem Arzt „möglichst kompetent“ zu wirken und alle Schwächen zu überspielen. Viele Angehörige wissen auch nicht, dass sie nach dem Gespräch zu dritt (oder auch noch mit dem Pflegedienst dabei) den medizinischen Dienst bitten können, ein persönliches Gespräch zu führen, ohne die pflegebedürftige Person. Das kann eine gute Möglichkeit sein, Schwächen und Probleme zu erwähnen, die die Person selbst nicht mehr diskutieren kann.

Ein vertracktes System

In der Kurzfassung und persönlichen Hinsicht bedeutet die Zahl, dass jeder, der an einer Einstufung zweifelt, Widerspruch einlegen sollte – und dabei vergleichsweise gute Chancen auf eine Korrektur hat. Auf der nicht persönlichen und strukturellen Ebene ist aber genau dieser Rat fatal: wenn der medizinische Dienst mit noch mehr Widerspruchsverfahren ausgelastet ist, wird er nicht besser entscheiden können.